Handwerksentwicklung im Spannungsfeld zwischen Stadt und Land - Eine empirische Analyse

Rudolph, A. & Müller, K. (1998). Handwerksentwicklung im Spannungsfeld zwischen Stadt und Land - Eine empirische Analyse. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien (Band 56). Duderstadt: Mecke.

Das Handwerk ist nicht gleichmäßig über den Raum verteilt; vielmehr finden sich regionale Schwerpunkte im Handwerksbesatz. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist zu untersuchen, worauf diese Unterschiede in der Handwerkspopulation zurückzuführen sind und dabei ökonomische Wirkungszusammenhänge zwischen regionalen Wirtschaftsstrukturen und der Handwerkspopulation zu identifizieren.

Im Rahmen dieser Untersuchung wurden zum ersten Mal die Ergebnisse der Handwerkszählung 1995 unter regionalen Gesichtspunkten ausgewertet. Dies geschah zum einen für das Gesamthandwerk. Da das Handwerk aber ein sehr heterogener Wirtschaftsbereich ist, wurden neun verschiedene, in sich jedoch relativ homogene Gruppen gebildet, die ebenfalls in die regionale Analyse einbezogen wurden.

Die Untersuchung zeigt, daß das Handwerk seinen Schwerpunkt eindeutig im ländlichen Raum hat. Dies kommt insbesondere zum Ausdruck, wenn man die Gründungsquote oder die Betriebsdichte heranzieht. Verläßt man diese betriebsbezogene Betrachtungsweise und stützt sich in der Analyse auf die Beschäftigtenzahl im Handwerk, wird dieses Ergebnis jedoch relativiert. Die Beschäftigtendichte in den Kernstädten entspricht etwa dem Durchschnittswert des Gesamthandwerks. Dieses Ergebnis ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß die Handwerksbetriebe in den Kernstädten im Durchschnitt deutlich größer sind (um fast 50%) als in den übrigen Regionen. Dies hängt mit der verdichteten Nachfrage und der damit verbundenen größeren Konkurrenz insbesondere durch Einzelhandelsbetriebe (und handwerkliche Nebenbetriebe) zusammen. Der Selektionsprozeß ist in den Städten stärker ausgeprägt, was auch in einer höheren Löschungsrate zum Ausdruck kommt.

Der Betriebsgrößenunterschied wird insbesondere bei den Dienstleistungshandwerken für den gewerblichen Bedarf (vor allem Gebäudereiniger) deutlich. Die Betriebe aus dieser Handwerksgruppe finden in den Städten weitaus bessere Nachfragebedingungen als auf dem Lande vor. Darüber hinaus ist bei zwei Handwerksgruppen, den Handels- und Reparaturhandwerken und den Dienstleistungshandwerken für den privaten Bedarf (Friseure), ein Kernstadt-Umland-Effekt zu beobachten. Nachfrage aus den angrenzenden Landkreisen fließt mit den starken Pendlerströmen in die Kernstädte ab; daher fällt die Beschäftigtendichte bei diesen Branchen in den Zentren höher aus als in den Umlandkreisen.

Die erwähnten eher städtisch orientierten Handwerksgruppen haben gemeinsam, daß sie einen örtlich begrenzten Absatzradius aufweisen. Betrachtet man demgegenüber die Handwerksgruppen, deren Betriebe am ehesten ihre Produkte über größere Entfernungen transportieren und absetzen, so sind dies die produzierenden Handwerke für den gewerblichen Bedarf und den speziellen Konsumbedarf. Diese Handwerkszweige haben, wie auch das Nahrungsmittelhandwerk und das Bauhauptgewerbe, eindeutig ihren Schwerpunkt im ländlichen Raum abseits der großen Zentren. Ein überregionaler Absatz ist daher vor allem von denjenigen Handwerken zu erwarten, die in ländlichen Regionen ansässig sind.

In einem zweiten Teil der Arbeit wurde untersucht, welche Auswirkungen bestimmte regionale Einflüsse (z.B. Arbeitslosigkeit, Bevölkerungs- u. Industriedichte) auf die Handwerkspopulation und das Gründungsgeschehen im Handwerk haben. Es wurde gezeigt, daß das Handwerk um so stärker besetzt ist, je weiter es von den Bevölkerungszentren entfernt ist. Dies ist noch einmal ein Beleg dafür, daß das Handwerk in ländlich geprägten Regionen bessere Existenzbedingungen aufweist.

Weiter wurde festgestellt, daß hohe regionale Arbeitslosenquoten negative Rückwirkungen auf die Beschäftigtendichte im Handwerk haben. Hierfür dürften ein im Zuge wachsender Arbeitslosenzahlen gesunkenes Kaufkraftpotential sowie ein steigender Konkurrenzdruck durch Eigenleistung und Schwarzarbeit ausschlaggebend sein. Darüber hinaus wirkt sich ein kleinbetrieblich bzw. handwerklich geprägtes Umfeld positiv auf das Gründungsgeschehen im Handwerk aus (Saatbeetfunktion). Insgesamt zeigte sich jedoch, daß neben diesen Faktoren noch andere spezifischere Faktoren (z.B. bestimmte Konsumgewohnheiten, Handwerkstraditionen) einen wichtigen Einfluß auf die regionalen Strukturen im Handwerk ausüben. Sie können unter dem Stichwort "regionales Milieu" zusammengefaßt werden, entziehen sich aber einer empirischen Analyse weitgehend.

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