Handwerksunternehmen und handwerkliche Qualifikationen – empirische Hinweise zur Rolle des Handwerks im Innovationssystem

Thomä, J. (2018). Handwerksunternehmen und handwerkliche Qualifikationen – empirische Hinweise zur Rolle des Handwerks im Innovationssystem. Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung (Heft 23). Göttingen.

Eine Auswertung der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung durch das ifh Göttingen zeigt, dass Handwerksunternehmen trotz geringerer FuE-Intensität Innovationen hervorbringen: So liegen Industrie und Handwerk bei verschiedenen outputseitigen Innovationsindikatoren kaum auseinander. Gleichzeitig berichten im Falle des Handwerks nur rund 9 % der Beschäftigten von einer kontinuierlichen FuE-Tätigkeit, während dies in der Industrie fast doppelt so häufig der Fall ist (ca. 17 %). Die Innovationsfähigkeit des Handwerks ist dabei durch Beschäftige des "beruflich-betrieblichen Bildungstyps" bedingt, denn die komplexen "Spezialisten- und Expertentätigkeiten" im Handwerk (Anforderungsniveau gemäß KldB 2010) werden i.d.R. durch qualifizierte Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung oder Meisterabschluss ausgeübt. Hierdurch werden die Handwerksunternehmen in die Lage versetzt, im Innovationssystem die ihnen klassischerweise zugeschriebene Funktion des Problemlösers, Multiplikators und Technologiemittlers auszuüben.

Gleichzeitig fungiert das Handwerk nach wie vor als Fachkräftezubringer für die anderen gewerblichen Bereiche der deutschen Wirtschaft. So sind rund 60 % der über die Jahre ausgebildeten Gesellen und Meister inzwischen außerhalb des Handwerks tätig. Viele der abgewanderten Personen mit Handwerksqualifikation sind in innovationsstarken Branchen und Arbeitsumgebungen tätig. So verfügt etwa in forschungsintensiven Industriebranchen rund jeder fünfte Erwerbstätige über einen handwerklichen Ausbildungs- oder Meisterabschluss. Die abgewanderten Handwerker üben dort häufig innovationsnahe "Experten- und Spezialistentätigkeiten" in FuE-benachbarten Unternehmensbereichen aus. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist folglich von positiven externen Effekten im Innovationssystem auszugehen, die vom Qualifizierungsbereich Handwerk auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft wirken.

„Dass in forschungsintensiven Industriebranchen das innovationsförderliche Zusammenspiel von Akademikern und beruflich Qualifizierten gelingt, liegt folglich nicht zuletzt auch an den Fachkräften aus dem Handwerk.“

Die Studienergebnisse in Kürze:

  • Eine Auswertung der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung zeigt, dass rund 13 % der Handwerksbeschäftigten auf forschungsintensive Branchen entfallen.
  • Gemäß KldB 2010 gelten ca. 18 % der beruflichen Tätigkeiten im Handwerk als komplex bzw. hochkomplex.
  • Diese Tätigkeiten werden i.d.R. durch Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung oder Meisterabschluss ausgeübt.
  • Industrie und Handwerk liegen bei verschiedenen outputseitigen Innovationsindikatoren kaum auseinander.
  • Obwohl Handwerksbetriebe meist keine eigene Forschung & Entwicklung betreiben, sind die Kreativitätsanforderungen an die im Handwerk tätigen Personen hoch.
  • Abgewanderte Gesellen und Meister arbeiten außerhalb des Handwerks häufig in innovationsintensiven Branchen und Arbeitsumgebungen.
  • Die Aus- und Fortbildungstätigkeit des Handwerks stellt somit einen positiven externen Effekt auf das gesamte deutsche Innovationssystem dar.

Der vorliegende Beitrag verortet die Rolle des Handwerks im deutschen Innovationssystem anhand einer Auswertung der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung. Wie erwartet zeigt sich zunächst, dass ein Schwerpunkt des Handwerks auf dem Verarbeitenden Gewerbe liegt (ca. 41 % aller Beschäftigten). Handwerksunternehmen sind dort insbesondere in nicht-forschungsintensiven Branchen ansässig. Gleichzeitig entfällt aber auch eine nennenswerte Zahl der Handwerksbeschäftigten (ca. 13 %) auf forschungsintensive Branchen des Verarbeitenden Gewerbes. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um besonders innovative Bereiche der Handwerkswirtschaft handelt.

Daneben deuten die Ergebnisse des vorliegenden Beitrags darauf hin, dass die in der Innovationsberichterstattung übliche Messung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen über den Akademikeranteil gerade mit Blick auf die Handwerkswirtschaft zu kurz greift. In Handwerksunternehmen entfallen fast 19 % der Arbeiten auf komplexe "Experten- und Spezialistentätigkeiten" (Anforderungsniveau gemäß der von der Bundesagentur für Arbeit entwickelten Klassifikation der Berufe 2010). Diese werden jedoch meist nicht von Akademikern, sondern von beruflich qualifizierten Fachkräften mit dualer Berufsausbildung oder Meisterabschluss ausgeführt. Der beruflich-betriebliche Bildungstyp bildet damit die entscheidende Basis für die Innovationsfähigkeit der Handwerksunternehmen.

Wie erwartet ist unter den Handwerksbeschäftigten der Anteil derjenigen, die sich im Unternehmen kontinuierlich mit Forschung und Entwicklung (FuE) befassen zwar nur etwa halb so groß wie in der Industrie: Im Falle des Handwerks berichten nur rund 9 % der Beschäftigten von einer kontinuierlichen FuE-Tätigkeit, während dies in der Industrie fast doppelt so häufig der Fall ist (ca. 17 %). Dies lässt jedoch nicht den Umkehrschluss zu, dass Handwerksunternehmen deshalb automatisch weniger innovationsaktiv seien. Die Ergebnisse der empirischen Auswertung deuten vielmehr darauf hin, dass trotz der geringen FuE-Intensität der Handwerksunternehmen die Kreativitätsanforderungen an die in der Handwerkswirtschaft tätigen Personen vergleichsweise hoch sind. So liegen Industriebeschäftigte nur leicht über den Erwerbstätigen aus dem Handwerk (ca. 29 % bzw. ca. 25 %), wenn es um die Frage geht, ob es im eigenen Arbeitsumfeld häufig vorkommt, dass bisherige Verfahren verbessert werden oder etwas Neues ausprobiert wird. Dies erklärt, warum Industrie und Handwerk nach den Ergebnissen der ifh-Studie im Falle verschiedener outputseitiger Innovationsindikatoren kaum auseinanderliegen. Die Stärken der Handwerksunternehmen liegen in diesem Zusammenhang weniger im Bereich der originären Technologieentwicklung zur Hervorbringung von radikalen Neuerungen, sondern vielmehr in der Bereitstellung von verbesserten oder neu angepassten Produkten, Dienstleistungen und Prozessen. Diese entstehen meist im Rahmen anwendungsnaher Problemlösungsfindung und im engen Austausch mit der Kundenseite ("Innovation ohne FuE"). Hierdurch erklärt sich die klassische Funktion des Problemlösers, Multiplikators und Technologiemittlers, die dem Handwerk im Innovationssystem typischerweise zugeschrieben wird.

Neben der eigentlichen Handwerkswirtschaft steht auch der weiter gefasste "Qualifizierungsbereich Handwerk" im Fokus der Untersuchung. Die Ergebnisse machen diesbezüglich deutlich, dass das Handwerk nach wie vor als Fachkräftezubringer für die anderen gewerblichen Bereiche der deutschen Wirtschaft fungiert. Für den Innovationsstandort Deutschland ist dies von nicht zu unterschätzender Bedeutung. So sind rund 60 % der über die Jahre ausgebildeten Gesellen und Meister inzwischen außerhalb des Handwerks tätig. Viele der abgewanderten Personen mit Handwerksqualifikationen sind in besonders innovationsstarken Branchen und Arbeitsumgebungen tätig. In forschungsintensiven Industriebranchen verfügt beispielsweise rund jeder fünfte Erwerbstätige über einen handwerklichen Ausbildungs- oder Meisterabschluss. Diese üben dort häufig innovationsnahe "Experten- und Spezialistentätigkeiten" (Anforderungsniveau gemäß KldB 2010) in FuE-benachbarten Unternehmensbereichen aus. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist folglich von positiven externen Effekten auszugehen, die im Innovationssystem vom Qualifizierungsbereich Handwerk auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft ausgehen.

Link zu einem Aufsatz in der Septemberausgabe 2018 der wirtschaftspolitischen Fachzeitschrift "Wirtschaftsdienst", in dem Teilergebnisse der Untersuchung veröffentlicht wurden.

Für Rückfragen zu den Ergebnissen dieser Studie steht Dr. Jörg Thomä zur Verfügung.
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