Resilientes Handwerk? Auswirkungen der Corona-Krise und der Rückvermeisterung auf die Betriebsdynamik

Haverkamp, K., Runst, P. & Proeger, T. (2020). Resilientes Handwerk? Auswirkungen der Corona-Krise und der Rückvermeisterung auf die Betriebsdynamik. Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung (Heft 44). Göttingen.

Die ökonomischen Effekte der Corona-Maßnahmen haben auch das Handwerk in hohem Maße betroffen. Neben Umsatzverlusten hat dies auch strukturelle Wirkungen, die anhand der Gründungen und Austragungen in den Handwerksrollen abgebildet werden können. Im Anschluss an eine erste Studie im Sommer 2020 präsentiert diese Analyse Daten zu Ein- und Austragungen in die Handwerksrollen von dreizehn Handwerkskammern von 2007 bis 2020 mit einem besonderen Fokus auf die wöchentliche Entwicklung im Jahr 2020. Hierbei kann die strukturelle Wirkung des Lockdowns, der Hilfsmaßnahmen, aber auch der Novellierung der Handwerksordnung vom Februar 2020 identifiziert werden.

Die zentralen Effekte sind dabei:

  • Die Eintragungen sinken im Vergleich zu den Vorjahreszeiträumen in 2020 deutlich ab: im Zeitraum von März bis August um 14 %; im Zeitraum von Januar bis August um 8 %. Es zeigt sich ein Erholungseffekt bei den Eintragungszahlen nach dem tiefen Einschnitt im April.
  • Bei den Eintragungen zeigt sich eine Überlagerung der Effekte von Novellierung der Handwerksordnung und Corona-Folgen. Die Rückgänge der Eintragungen können zu einem erheblichen Teil als Reaktion auf die Wiedereinführung der Meisterpflicht in zwölf Handwerken gesehen werden:
    • Gegenüber dem Vorjahreszeitraum (März-August) geht die Zahl der Eintragungen in den rückvermeisterten Handwerken um 70 % zurück.
    • Die A-Handwerke, welche seit 2004 unverändert zulassungspflichtig sind, weisen mit -7 % eine geringere Reaktionsstärke auf.
    • Bei den Handwerken der Anlage B1 und B2 ist keine negative Entwicklung beobachtbar; die Eintragungszahlen für das Jahr 2020 liegen sogar über den Werten des Vorjahres.
  • Die Auswertung nach Konjunkturgruppen zeigt allerdings, dass der Gesamteffekt nicht allein durch die Novellierung bedingt ist. Der stärkste Rückgang (März-August 2020 gegenüber Vorjahresperiode) ist in den Ausbauhandwerken (-33 %) zu verzeichnen. Geringere Eintragungswerte zeigen sich jedoch auch im nicht betroffenen Lebensmittelgewerbe (-25 %), im Gesundheitsgewerbe (-13 %) und dem Kfz-Gewerbe (-10 %).
    Beim Baugewerbe (+-0 %) sowie den Handwerken für den privaten (-3 %) und gewerblichen Bedarf (+1 %) sind kaum Unterschiede feststellbar.
  • Bei den Austragungen zeigt sich im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr ein deutlicher Rückgang der Abgänge (-21 %).
  • Zwischen März und August 2020 sind gegenüber dem Vorjahr 25 % weniger Betriebe aus den Handwerkskammerverzeichnissen gelöscht worden.
  • Der stärkste Rückgang im Vergleich zum Vorjahr fand in der Gruppe der rückvermeisterten Handwerke statt (-35 %). Ebenfalls hohe Rückgänge weisen die Gruppen der Handwerke nach Anlage B1 (-27 %), B2 (-22 %) und A (-18 %) auf.
  • Insgesamt ist festzuhalten, dass die geringere Zahl an Eintragungen primär auf die Novellierung der Handwerksordnung und nur sekundär auf die Auswirkungen der Corona-Krise zurückzuführen ist. Die deutlich abgesunkenen Austragungszahlen wiederum können primär auf die umfassenden finanziellen und rechtlichen Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Corona-Krise, sekundär auf die Novellierung der Handwerksordnung zurückgeführt werden. Bislang zeigt sich das Handwerk somit als sehr resilient im Hinblick auf die Krisenfolgen, insbesondere da ein erheblicher Teil der ökonomischen Effekte auf die Novellierung der Handwerksordnung zurückzuführen ist.

Übergreifend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass das Handwerk in der Corona-Krise bislang keinen strukturellen Schaden - verstanden als massiven Verlust an Neugründungen und einen Anstieg der Betriebsaufgaben - genommen hat. Dies weist auf eine grundlegende Resilienz des Handwerks hin, wobei anzunehmen ist, dass die vergleichsweise gute Auftragslage und der Fachkräftemangel im mittleren Qualifikationsbereich strukturelle Ursachen für die Stabilität darstellen. In Kombination mit den umfänglichen finanziellen und rechtlichen Unterstützungsmaßnahmen durch Bund und Länder kam es dabei sogar zu einer deutlichen Reduktion der Austragungen. Gesamtwirtschaftlich sind ähnliche Tendenzen zu verzeichnen: Die Gewerbeanmeldungen sanken laut Gewerbeanzeigestatistik des Statistischen Bundesamtes im Zeitraum März-April zunächst um 20 bis 30 %, worauf eine Erholung folgte und im Juni-Juli ein Zuwachs an Anmeldungen, sodass im Gesamtzeitraum März-August 2020 ein Absinken von 5 % zu verzeichnen war. Bei den Gewerbeabmeldungen zeigt sich im Zeitraum März-August 2020 eine Reduktion um 13 %, im April 2020 sogar um 30 % (Statistisches Bundesamt, 2020). Insofern fügen sich die Zahlen des Handwerks in eine gesamtwirtschaftlich sichtbare Entwicklung ein.

Gleichwohl ist zu erwarten, dass das Auslaufen der Stabilisierungsmaßnahmen und die Schwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ausgehend von der Industrie sowie den öffentlichen und privaten Haushalten zu einer Schwächung der bislang sehr guten Ausgangslage des Handwerks führen wird. Es erscheint daher plausibel, dass die Minder-Austragungen der Corona-Zeit mit Auslaufen der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen doch noch realisiert werden und damit deutlich mehr Betriebe den Markt verlassen werden. Gleichzeitig ist nicht klar, ob die derzeitigen Minder-Austragungen Unternehmen repräsentieren, die unter regulären Marktbedingungen nicht (mehr) wettbewerbsfähig wären und nur wegen der staatlichen Unterstützung weiter existieren. Ebenso denkbar ist es, dass es sich zum Teil um aufgeschobene Betriebsübergaben handelt, da aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Unsicherheit von Übernehmern nur unterdurchschnittliche Preise verlangt werden können. Das Aufschieben der Betriebsübergaben wäre damit durch die ökonomische Unsicherheit bedingt, nicht aber durch die Stabilisierungsmaßnahmen. In welchem Maße also diese oder andere Erklärungsansätze zutreffen, wird erst der weitere Verlauf der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise zeigen; auf Basis der bislang vorliegenden Daten kann weiterhin keine robuste Aussage getroffen werden.

Ebenso können zu den in Haverkamp et al. (2020) diskutierten Szenarien für die weitere Entwicklung des Handwerkssektors in der Corona-Krise noch keine Aussagen getroffen werden. Bislang erscheint das erste Szenario, also das einer gesamtwirtschaftlichen Erholung mit einem weitgehend konstant bleibenden Betriebsbestand im Handwerk einzutreffen. Gleichwohl wurden auf Bundes- und Landesebene erhebliche finanzielle Mittel zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage eingesetzt. Eine unbegrenzte Fortsetzung dieser Konjunkturstimulierung bzw. Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Betriebsbestandes aus staatlichen Mitteln erscheint nicht realistisch. Ob eine eigenständige konjunkturelle Erholung unabhängig von diesen Mitteln erfolgt, bleibt offen. Im Falle eines gesamtwirtschaftlichen Abschwungs mit einhergehender Arbeitslosigkeit sowie privater und öffentlicher Investitionszurückhaltung, die in vielen Bereichen bereits erfolgt, ist auch eine negative Entwicklung des Handwerkssektors zu erwarten. Insofern hängt für das Eintreffen der verschiedenen Szenarien alles von der Wirksamkeit der staatlichen Ausgaben bei der Erzeugung einer eigenständigen konjunkturellen Erholung ab.

Neben den bislang sehr begrenzten Corona-Folgen zeigt sich mit der Wirkung der Novellierung der Handwerksordnung von 2020 ein weiterer Effekt, der getrennt betrachtet und analysiert werden muss. Hierbei erfolgte eine Gründungswelle vor dem Inkrafttreten der Novellierung und mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht ein deutlicher Rückgang der Eintragungszahlen. Als zweiter Effekt ist festzuhalten, dass die Marktaustritte in den rückvermeisterten Gewerken stärker gesunken sind als in den Gewerken der anderen Anlagen der Handwerksordnung. Dies ist im Kontext des Bestandsschutzes für bestehende Betriebe zu interpretieren, da auch z.B. Nebenerwerbs- oder marginal rentable Betriebe ohne Inhaber mit Meisterbrief eher bereit sind, den Betrieb auch ohne Erträge formal am Markt zu halten, um die Möglichkeit zum erneuten stärkeren Marktengagement zu erhalten. Folglich wären diese zwei Kerneffekte der Novellierung der Handwerksordnung auch ohne den externen Schock der Corona-Krise aufgetreten. Eine empirisch saubere Trennung der beiden Effekte ist dabei (noch) nicht möglich, die deskriptive Auswertung für die betroffenen Gewerke spricht jedoch für eine stärkere Wirkung der Novellierung als der Corona-Krise.

Für die künftige Stabilität des handwerklichen Betriebsbestandes ist die gesamtwirtschaftliche Entwicklung entscheidend. Bislang zeigt sich das Handwerk als sehr resilient im Hinblick auf die Krisenfolgen, insbesondere, wenn beachtet wird, dass ein erheblicher Teil der sichtbaren Effekte auf die Novellierung der Handwerksordnung zurückgeht. Es bleibt jedoch eine offene Frage, ob diese Stabilität auch bei einer schwächer werdenden Gesamtkonjunktur ohne umfassende staatliche Stabilisierungsmaßnahmen erhalten bleibt. Diese Entwicklung kann im Sinne eines erneuten Monitorings analysiert werden, um die handwerksspezifische Reaktion auf die Corona-Krise umfassend zu analysieren und den Entscheidungsträgern eine solide Datengrundlage zur Weiterentwicklung von Konjunktur- und Handwerkspolitik in der Krise bereitzustellen.

Für Rückfragen zu den Ergebnissen dieser Studie steht Dr. Petrik Runst zur Verfügung.
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